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Der lange Weg zur Spitze: Die unterschätzte mentale Herausforderung nach Verletzungen im Skirennsport

Der lange Weg zur Spitze: Die unterschätzte mentale Herausforderung nach Verletzungen im Skirennsport

Der lange Weg zur Spitze: Die unterschätzte mentale Herausforderung nach Verletzungen im Skirennsport

Vor einigen Tagen hatte ich die Gelegenheit, als Gast bei “Sport und Talk im Hangar 7” über ein Thema zu sprechen, das im Hochleistungssport oft unterschätzt wird: die Rückkehr nach schweren Verletzungen und die Bereitschaft, erneut an die Leistungsgrenzen zu gehen.

In der Welt des Skirennsports ist der Körper ständig extremen Belastungen ausgesetzt. Verletzungen gehören nahezu zum Berufsrisiko, und die physische Rehabilitation ist eine immense Herausforderung. Doch während Muskeln, Knochen und Bänder mit medizinischer Versorgung, gezielten Reha-Maßnahmen und methodisch aufgebautem Training wiederhergestellt werden können, bleibt eine oft noch größere Baustelle unbeachtet: der mentale Aspekt des Comebacks.

 

Mentale Barrieren und ungeduldige Erwartungshaltungen

Trainer, Betreuer sowie das gesamte Umfeld neigen dazu, den Fokus auf die physische Genesung zu legen und die sichtbaren Fortschritte hervorzuheben. Dabei wird oft übersehen, dass der Kopf nicht immer mit der körperlichen Entwicklung Schritt hält. Zweifel, Angst und Unsicherheiten begleiten viele Athleten, auch wenn der Körper offiziell wieder “einsatzbereit” ist. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung, denn in den frühen Jahren meiner Trainertätigkeit war ich genau dieser Trainer, der zwar in Gesprächen versucht hat, behutsam vorzugehen, letztlich aber doch ungeduldig Leistung eingefordert hat, die schlicht noch nicht abrufbar war.

 

Der richtige Umgang mit einer Verletzung beginnt weit vor der Reha

Der Grundstein für eine erfolgreiche Rückkehr wird bereits in der Akutphase gelegt. Vom Moment der Verletzung bis zur Diagnose ist es entscheidend, dem Athleten Sicherheit und Klarheit zu vermitteln. Das Bekenntnis, zu den Verletzten zu stehen, sie zu unterstützen und den Weg mit ihnen gemeinsam zu gehen ist enorm wichtig. Die Verletzten können in diesen Momenten oft keinen klaren Gedanken fassen. Dazu kommen in manchen Fällen auch Existenzängste. Worte dürfen allerdings keine Lippenbekenntnisse bleiben – nein, sie müssen durch konkrete Maßnahmen und Strategien unterstützt werden!

„Come back stronger“ darf nicht nur eine leere Phrase sein. Es muss ein Versprechen mit Taten, klaren Strategien und echtem Commitment sein. Es benötigt einen strukturierten Plan, der nicht nur medizinische und sportliche, sondern auch mentale Aspekte einschließt. Schon in der Rehabilitationsphase ist es für den Trainer essenziell, den Kontakt zu den Athleten aktiv zu halten und ihnen während der oft eintönigen und zähen Reha – über die körperliche Arbeit hinaus – zusätzliche kreativ gestaltete Aufgaben zu geben und ihnen so ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln.

 

Rehabilitation als strategische Vorbereitung

Ein Perspektivwechsel kann helfen: Warum nicht die Reha wie eine gezielte Vorbereitung auf ein bedeutendes Rennen sehen? Mit klaren Visionen, kleinen Zwischenzielen und dem Bewusstsein, dass Rückschläge nicht als Niederlagen, sondern als Wachstumschancen betrachtet werden sollten. Dabei spielt die richtige Kommunikation mit den Athleten eine entscheidende Rolle: Rehabilitationsfortschritte sollten dokumentiert, analysiert und besprochen werden. Ein persönliches Tagebuch, in dem der gesamte Prozess festgehalten wird, kann wertvolle Klarheit schaffen. Kleine Fortschritte werden sichtbar, Rückschläge können im richtigen Kontext eingeordnet werden.

 

Von der Reha ins Training: Methodik, Geduld und kreatives Arbeiten

Sobald die Athleten aus der Reha zurück ins Training kommen, wechselt die Verantwortung meist von den Physiotherapeuten zurück zum Betreuerteam. Hier beginnt ein besonders sensibler Abschnitt: Der Wiedereinstieg muss methodisch erfolgen. Die Sportler benötigen Mut, Motivation und gleichzeitig Raum, um Unsicherheiten zu verarbeiten. Ein behutsamer aber gezielt fordernder Trainingsaufbau ist hier essenziell.

Die Arbeit soll nicht nur auf die physische Stärkung und die skitechnischen Verbesserungen abzielen, sondern auch auf mentale Techniken setzen: Visualisierungen von Bewegungsabläufen, Reframings von fehlerhaften Schwüngen (die möglicherweise zur Verletzung geführt haben) hin zu optimal ausgeführten Bewegungen. Hier können Videoanalysen wertvolle Hilfestellung leisten. Es geht nicht darum, Fehler zu vermeiden, sondern darum, die richtigen Bewegungsmuster nachhaltig zu festigen. Mentale Visualisierungen sind dabei ein wertvolles Zusatztool, um den Kopf auf die Abläufe vorzubereiten und den Fokus zu schärfen. Doch eines ist klar: Nichts ersetzt das echte Skitraining. Nur auf Schnee lassen sich die feinen Nuancen der Bewegung, das Timing und das Gefühl für Geschwindigkeit wirklich erleben. Wettkampfnahes Training ist der Schlüssel zum Selbstvertrauen, denn wahre Sicherheit und Überzeugung entstehen nicht im Kopf, sondern in der Praxis – für den Kopf.

 

Zurück in den Wettkampf: Die mentale Vorbereitung ist entscheidend

Die finale Phase – der Schritt zurück in den Wettkampf – bringt zahlreiche mentale Herausforderungen mit sich. Athleten müssen sich darauf vorbereiten, dass ihr Comeback medial stark thematisiert wird. Sie werden in Interviews immer wieder auf ihre Verletzung angesprochen, möglicherweise sehen sie Fernsehaufzeichnungen ihres Sturzes oder starten sogar an genau dem Ort, an dem sie sich verletzt haben. Diese emotionalen Belastungen sind nicht zu unterschätzen. Doch die Art und Weise, wie ein Sportler mit diesen Einflüssen umgeht, ist trainierbar. Eine gezielte Vorbereitung auf diese Szenarien kann helfen, Unsicherheiten zu reduzieren. Mentale Techniken wie kontrollierte Selbstgespräche, strukturierte Visualisierungen oder Atemtechniken können dazu beitragen, den Fokus auf das Hier und Jetzt zu legen und sich nicht von externen Faktoren ablenken zu lassen. Die höchste Priorität liegt darin, erlernte Bewegungsmuster zu verinnerlichen – Schwünge, Torkombinationen, Sprünge und Wellen müssen automatisiert abrufbar sein.

 

Der Moment der Wahrheit

Die Startnummer ist angezogen, der Puls steigt – jetzt zählt es! Monatelang haben verletzte Athleten auf genau diesen Augenblick hingearbeitet. Der Plan? Eine klare Zielsetzung, ein durchdachtes Risiko-Management und absolute Fokussierung auf die Skitechnik.

Cool, entschlossen, mit kalkuliertem Risiko – Step by Step zurück an die Spitze!

 

Fazit: Ein strukturiertes Comeback erhöht die Erfolgschancen enorm

Der Umgang mit Verletzungen und der Weg zurück an die Weltspitze erfordert von allen Beteiligten – und in erster Linie vom Athleten selbst – Geduld, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Doch mindestens genauso wichtig ist eine durchdachte und abgestimmte Zusammenarbeit von Athleten, Trainern, Medizinern, Physiotherapeuten und Sportpsychologen.

Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Doch ein klarer, individuell angepasster, gemeinsam erstellter Plan erhöht die Chancen auf eine vollwertige Rückkehr zur Weltspitze um ein Vielfaches im Vergleich zu einer Herangehensweise, die auf Zufall oder die “Schauen wir mal”-Mentalität setzt. Sportpsychologen und Mentaltrainer können dabei eine essenzielle Rolle spielen – nicht als externe Berater, sondern als vollwertige Teammitglieder, die den gesamten Prozess aktiv begleiten.

Denn eines steht fest: Wer nicht nur körperlich, sondern auch mental optimal vorbereitet ist, hat die besten Voraussetzungen, um nicht nur zurückzukehren – sondern stärker als je zuvor zu sein!

 

📸 Servus TV / Johannes Jank // Bild zeigt Max Franz und Mathias Berthold